»10.12.2008 Bab al Mandab 12°37'N, 043°21'E 0930 UTC +2«
Bab al Mandab, „Das Tor der Tränen“ wird die Engstelle genannt, die das rote Meer vom Golf von Aden trennt1). Hier haben die Araber seiner Zeit die Sklaven vom afrikanischen Kontinent nach Arabien verschifft. Anderen Quellen zufolge sollen hier früher wegen den starken Strömungen viele Schiffe verunglückt sein. Jedenfalls ist der Name Bab al Mandab mit dem damit verbundenen Leid verknüpft. Vermutlich haben beide Geschichten ein Fünkchen Wahrheit. Diese Stelle ist heute aber noch aus anderer Sicht bekannt. Hier läuft man in den Golf von Aden ein. Das zu dieser Zeit (2008) am meisten durch Piraterie gefährdete Gebiet der Welt, noch weit vor der einst berüchtigten Straße von Malakka2). In der Zeit wo ich diese Reise unternommen habe, eskalierte die Situation gerade. Vor wenigen Wochen wurde spektakulär ein nagelneuer Supertanker samt Ladung entführt und ein Lösegeld in zweistelliger Millionenhöhe gefordert. Eine Woche bevor wir hier eintrafen gab es erneut einen Zwischenfall, ein deutsches Kreuzfahrtschiff wurde angegriffen, eine Übernahme des Schiffes konnte aber von der deutschen Fregatte Karlsruhe verhindert werden, die im Rahmen der von den USA, zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus ins Leben gerufenen Operation Enduring Freedom vor der Küste Somalias kreuzte. Der Militäreinsatz wurde zu Hause kontrovers diskutiert, weil die Soldaten kein eindeutiges Mandat zum Eingreifen haben. Sie dürfen das Feuer z.B. nur erwidern oder sich zwischen die Piraten und das Opfer drängen. Drehen die Piraten mit ihren Speedbooten ab, dürfen sie nicht weiter verfolgt werden und auch ihre Mutterschiffe dürfen nicht aufgebracht werden. Das ging sogar soweit, dass ein dänisches Kriegsschiff eine in Seenot geratene Piraten Besatzung rettete. Die trieben acht Tage auf hoher See; ihnen war das Benzin ausgegangen und die Dänen brachten sie unversehrt an die somalische Küste zurück. Ein weiteres Zeugnis der Handlungsunfähigkeit europäischer Streitkräfte. Zumindest haben die Inder ein Piratenboot versenkt. Ansonsten kann man vermutlich nicht davon ausgehen, dass die somalischen Piraten sonderlich beeindruckt sind, von der Präsenz einiger Kriegsschiffe vor ihrer Küste und sehen sich nicht wirklich in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt. Letztlich hat man im Falle einer Havarie sogar noch Aussicht auf Rettung.
Man bekommt aber eine andere Sicht auf die Dinge, wenn man selbst in dieser Gegend unterwegs ist. Bereits am frühen Morgen kamen uns zwei Kriegsschiffe in Bab al Mandab entgegen und im weiteren Tagesverlauf überholten wir ein Weiteres südlich von Aden, nahe der jemenitischen Küste. Ich konnte auf einem der Fotos den italienischen Zerstörer Luigi Durand de la Penne3)4) erkennen, benannt nach einem Kampfschwimmer, der im zweiten Weltkrieg zum Kriegshelden wurde5). Irgendwie schon seltsam, welche Helden die Menschheit hervorbringt. Ich finde schon das Wort Kriegsheld alleine einen Widerspruch in sich aber das ist eine andere Geschichte. Ich kann es nicht ändern und der Zerstörer heißt nun mal so; wobei Zerstörer und Luigi Durand de la Penne in diesem Kontext schon auch wieder zusammenpassen. Ansonsten verhalten sich die Schiffe ruhig, sie scheinen es auch nicht eilig zu haben, wir hatten keine Mühe das Schiff zu überholen.
Aus diesen Standpunkten heraus betrachtet, sinniert man so vor sich und fragt sich wie ein solcher Überfall wohl ablaufen mag? Endlos Zeit haben die Piraten jedenfalls nicht, ich schätze den Aktionsradius der Kriegsschiffe auf höchstens zwei Stunden ein. Salomon, ein Crewmitglied, hat mir dann erklärt, wie sowas abläuft: Zwei Speedboote holen ihr Opfer ein und verbinden sich vor dem zu kapernden Schiff mit einer Trosse. Diese Trosse wird unmittelbar vor dem Eintreffen des Schiffes gespannt, welche dann von der Bugnase (dem Wulstbug, den die meisten großen Schiffe haben) mitgenommen wird. Dadurch werden die beiden Boote parallel zu je einer Seite des Schiffes bis an die Bordwand gezogen. Das hat den Vorteil, dass sich durch dieses Manöver die Geschwindigkeit der Enterboote dem des Opfers anpasst, da sie sich einfach mitziehen lassen. Die verwendete Länge der Trosse hängt vom zum enternden Schiffstyp ab, im Idealfall wird sie so gewählt, dass die beiden Enterboote an der niedrigsten Stelle des Schiffes mitgezogen werden. Es werden dann auf beiden Seiten Enterhaken zum Einsatz gebracht und die Piraten entern an Seilen und Strickleitern das Schiff, wie früher auch schon. Man fragt sich natürlich ob sich das nicht leicht verhindern ließe? Sicher werden bestimmte Ausweichmanöver (z.B. Zick Zack Kurs) versucht, wenn der dafür notwendige Raum vorhanden ist, aber besonders an Stellen wo viele kleine Inseln sind, werden solche Manöver schnell gefährlich oder einfach schier unmöglich. Andere Heldengeschichten berichten von mutigen Seeleuten, die mit zu Wasserkanonen umfunktionierten Löschschläuchen die über Bord kletternden Piraten einfach wieder über Bord gespült haben. Was auch nicht ganz ungefährlich ist, zumal die Bordwände der Schiffe schon ein paar Meter hoch sind und wenn man dann mit mehr als 14 oder 15 Knoten unterwegs ist, kommt man dem Schraubenwasser gefährlich nahe. Wie wir uns verhalten sollen, habe ich gefragt? Die Antworten war schlicht und trocken „when you hear the alarm bell ringing come to the bridge, you will get some further orders there”. Wir gehören mit unserem Schiff auch nicht zur bevorzugten Beute hat mir mein Kumpel CO Sanjeewa erklärt. Wir sind zu schnell und zu hoch. Es war auf alle Fälle keine Anspannung oder Nervosität bei der Besatzung zu erkennen, dass Risiko scheint demnach überschaubar zu sein und wir Passagiere betrachteten es quasi als Touristenattraktion, einen Tag mit einem latent vorhandenen Risiko entführt zu werden zu leben. Ansonsten war vermutlich das anstrengendste an diesem Tag die Uhren neu zu stellen. GMT +3 und langsam wird es Zeit, die Uhr der Kameras anzupassen.
Es war dann auch nicht weiter verwunderlich, dass wir den Golf von Aden ohne Zwischenfälle und bei schönstem Wetter passierten. Wir befanden uns jetzt im Arabischen Meer, welcher ein Teil des Indischen Ozeans ist, haben die Küste Omans auf der Backbordseite und steuerten auf den Golf von Oman zu, der über die Straße von Hormus mit dem Persischen Golf verbunden ist. Es dauerte einen Tag bis wir den Golf von Oman erreichten und es herrschte eine Stille auf dem Meer, wie ich sie noch nie erlebt habe. Kein Lüftchen regte sich und das Meer war spiegelglatt. Einzig unsere Bugwelle und unser Kielwasser brachte Bewegung in die Wassermassen. Ich fragte den Kapitän ob ich bei der Durchfahrt der Straße von Hormus auf der Brücke sein darf. Natürlich durfte ich und so bereitete ich mich darauf vor, was mich erwarten würde. Ich studierte die Seekarten, in denen unser Kurs eingezeichnet war. Zweimal würden wir nach Backbord beidrehen und den weiteren Kurs auf die nächsten Inseln ansteuern, wo noch ein paar Mal der Kurs korrigiert wird. Der dritte Offizier hat das Kommando, der Kapitän wird aber anwesend sein.
Ich fragte mich den ganzen Tag schon, warum wir keine Schiffe um uns herum sehen können. Weder auf dem Wasser noch im Radar war irgend etwas zu erkennen. Das änderte sich aber, als wir der Engstelle bei Hormus näher kamen. Wie durch einen Trichter laufen die Routen der Schiffe auf die Straße zu und es wurde Zeit meine Position auf der Brücke zu beziehen. Gebannt starrte ich abwechselnd durch mein Fernglas und auf das Radar. Hier konnte man erkennen, wann es soweit war und die erste der beiden Kursänderungen erfolgt. Wir kamen der Position immer näher und ich konnte auch einige Lichtsignale ausfindig machen, die Nacht war mittlerweile hereingebrochen. Überraschend früh, überraschend rasch und es war überraschend kalt. "The Middle East is during the winter much colder than the Near East" Warum das so ist konnte mir jetzt auch niemand erklären aber zu stimmen scheint es auf jeden Fall. Die Straße passierten wir dann ohne jeden Sichtkontakt zur Küste, außer ein paar vereinzelte Lichter war nichts zu sehen. Ein wenig enttäuscht ging ich zu Bett.
Fortsetzung…
~~DISCUSSION:off~~