Don't jump into pool, when pool is empty...

»03.12.2008 Muster Station; C-Deck 40°52'N, 12°18'E 1620 UTC +1«

Das ganze Schiff ist voll mit gut gemeinten Ratschlägen, ernsthaften Warnungen und überlebenswichtigen Hinweisen. Sicherheit steht auf so einem Schiff an erster Stelle und das kommt sicher nicht nur durch althergebrachte Traditionen der altertümlichen Seefahrt, sondern so ein Schiff ist ein gefährlicher Ort, welches sich in einer lebensfeindlichen Umgebung befindet. Mann über Board kommt schon fast einem Todesurteil gleich. Unter 25° Grad Wassertemperatur ist die Kälte dein Feind, über 25° Wassertemperatur sind es die Haie. Wenn der Mann über Bord sofort bemerkt wird, hat er durch rasches Handeln eine Chance, wenn auch eine sehr geringe, da so ein großes Schiff erst mal gewendet werden, und zu der Stelle zurückkehren muss. Dafür wurden spezielle Manöver entwickelt, der Williamson-Turn bzw. der Scharnow-Turn. Die Suche nach dem Verunglückten gestaltet sich dann nach der Suche der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen. Wird der Mann über Bord erst später, zB beim Essen bemerkt, ist es meist zu spät. Die Chance auf Rettung tendiert gegen Null. So geschehen kurz vor meiner Reise auf dem deutschen Segelschulschiff Gorch Fock, dort ging unbemerkt eine 18-jährige Matrosin über Bord. Ihre Leiche wurde knapp zwei Wochen später von Fischern entdeckt.

Es gibt aber auch Hoffnung. Ich habe mal von einer deutschen Matrosin gelesen, die bei schwerer See ca. 200 Seemeilen östlich von Madagaskar über Bord eines Frachters gegangen ist. Und obwohl dies sofort bemerkt wurde und das Schiff durch eines der og Manöver, dem Williamson Turn, sofort gewendet wurde, gestaltete sich die Suche nach der Verunglückten schwierig. Zwei andere Matrosen haben sofort Rettungsringe über Bord geworfen, auch wenn die Matrosin glücklicherweise eine Schwimmweste trug, konnte man anhand der Rettungsringe die Strömung besser beurteilen und abschätzen wohin die Verunglückte abgetrieben wird. Auch wenn die Verunglückte keinen der Rettungsringe erreichen sollte, hat man dadurch mehrere Anhaltspunkte im Wasser, die bei der Suche helfen. Bei der Suche beteiligten sich noch zwei andere Schiffe, die dem Mayday Ruf gefolgt sind. Weil der Blickkontakt zu der Verunglückten wegen der rauen See verloren ging, wurde das Suchgebiet in Planquadrate aufgeteilt, welche die beteiligten Schiffe systematisch absuchten. Ein Rettungshubschrauber der Küstenwache Madagaskars konnte wegen dem schlechten Wetter vorerst nicht starten. Die Matrosin im Wasser war einerseits erleichtert, weil sie durch das spezielle Manöver wusste, dass ihr über Bord gehen bemerkt wurde, andererseits wusste sie aber auch dass sie erst mal gefunden werden musste. Es war frustrierend gewesen, dass über 200 Meter lange Schiffe in einem Abstand von weniger als 50 Meter an ihr vorbei fuhren ohne sie zu bemerken. Sie verzichtete in weiser Voraussicht auf wild gestikulierende Bewegungen, weil diese in der tobenden See ohnehin nicht auszumachen sind und sie mit ihren Kräften haushalten musste. Sie fürchtete sich vielmehr von einem der Schiffe überfahren zu werden. Sie war nun schon mehr als 12 Stunden im Wasser und als die Nacht herein brach, stand ihr Schicksal auf Messers Schneide. Sie hat es der Hartnäckigkeit ihres deutschen Kapitäns zu verdanken, dass die Suche die Nacht durch fortgeführt wurde. Sie bemerkte die nach ihr suchenden Lichter in der Dunkelheit und wusste, dass sie noch eine Chance auf Rettung hatte. Es hätte keinen Sinn gemacht die Suche nach Einbruch der Dunkelheit fortzusetzen, um sie dann irgendwann in der Nacht aufzugeben. Sie werden mindestens bis zum Tagesanbruch weiter suchen. Es war dann am nächsten Morgen, ca. 24 Stunden nachdem sie über Bord gegangen war, als von einem an der Suche beteiligten japanischen Autotransporter der erlösende Funkspruch kam „We found her, Lady is still alive, please cancel searching“. Jedoch in Anbetracht der schwierigen Wettersituation und vermutlich auch deshalb, weil es logistisch einfach unsinnig ist, die Verunglückte an Bord zu nehmen, wurden ihr lediglich ein Rettungsring und eine Blitzboje zugeworfen und ihrem Schiff die exakten Koordinaten übermittelt. Die Bergung wurde dann wenig später von ihrem Schiff durchgeführt. Sie trotzte nicht nur der Gefahr von Haien angegriffen zu werden, sondern hat die Nerven behalten und die Hoffnung auf Rettung nicht aufgegeben. Und nicht zuletzt wegen der Hartnäckigkeit ihres Kapitäns hat sie einen Tag im Indischen Ozean überlebt.

Aber auch die Gefahren an Bord sich zu verletzen sind reichlich. Ein Frachtschiff ist übersät mit heimtückischen Fallen. Hier wimmelt es nur so von Möglichkeiten zu stolpern, sich den Kopf anzuschlagen oder hinunter zu fallen. Wie auf einer Baustelle trifft man dann auf Gegenstände, die einem sämtliche Knochen brechen können. Ist ein gebrochenes Bein zu Hause schon eine unangenehme Sache, kann es auf hoher See, fernab jeder medizinischer Versorgung, zu einem echten Problem werden. Schon unmittelbar nach der Gangway wurde ich mit einem „Watch your head“ oder „Watch this rope“ „begrüßt“. Ein Matrose erzählte mir, dass es kürzlich auf einem Schwesterschiff der Rickmers Shanghai zu einem tödlichen Zwischenfall kam. Einer der vier Kräne geriet durch einen technischen Defekt außer Kontrolle, eine der Umlenkrollen der bis zu 400 Tonnen hebenden Kräne ist gebrochen und verletzte einen Hafenarbeiter tödlich. Dadurch mussten sich alle Schiffe, welche mit solchen Kränen ausgestattet sind, einer Inspektion unterziehen. Bei den Ultraschalluntersuchungen wurden auch auf der Rickmers Shanghai beschädigte Rollen festgestellt, was sie für drei Wochen in Panama festhielt. Dadurch kam es zu der eklatanten Verspätung sämtlicher Rickmers Multiplex Schiffe, was auch meine Abfahrt verzögerte und mich auf ein anderes Schiff zwang. Das Ergebnis muss erschreckend gewesen sein, wobei es für die Verantwortlichen und den Hersteller ein Rätsel ist, dass nur die Rickmers Schiffe von diesem Problem betroffen sind. Durch die daraus resultierenden Sicherheitsmaßnahmen sind weitere Verzögerungen zu erwarten. Die Besatzung hat die Order die Rollen nach jedem Heavylift einer Sichtkontrolle zu unterziehen. Das kommt ungefähr der Order gleich, wenn Sie nach jeder Kurve die Räder Ihres Fahrzeugs auf festen Sitz überprüfen müssten. But safety first…

Vor dem Auslaufen sind auch penibel genaue Kontrollen der Rettungssysteme zu beobachten. Wie ein Pilot sein Flugzeug vor dem Start noch einer visuellen Kontrolle unterzieht, werden hier die Rettungsboote und Rettungsinseln überprüft. Und zwar nicht nur durch einen flüchtigen Blick, hier wird jeder Gurt, jeder Schäkel und jeder Bolzen in Augenschein genommen. Die regelmäßigen Safety Drills sind auch für die Passagiere obligatorisch. Dort lernen wir den richtigen Umgang mit der Schwimmweste und dem Überlebensanzug, wir lernen die akustischen Signale zu verstehen und hier werden wir in die Evakuierungspläne eingewiesen. Wobei ich schon auch skeptisch bin, dass das Gewusel aus Gurten, Winden und Stahlseilen, welche die Rettungssysteme fixieren, im Ernstfall rechtzeitig entwirrt werden können. Ist mir derzeit aber auch wurscht, ich habe meine Schwimmweste bereits mehrfach an- und ausgezogen und es ist beruhigend, bei einem Blick aus dem Fenster fast immer ein oder mehrere Schiffe in der Nähe zu sehen. Man neigt aber auch dazu zu glauben, dass einem so großen Schiff nichts passieren kann aber auch die Titanic war ein großes Schiff, ebenso die München und die Estonia.

An meiner Kammertür steht:

General Emergency:
Signal: Seven short blasts, followed by one long blast.
Duty: Standby and wait for orders

Abandoning: (Schiff verlassen)
Signal: masters verbal orders followed by continuous alarm bell’s ringing
Duty: Standby and wait for orders.

Man over Board:
Signal: Three long blast
Duty: Standby and wait for orders

Scheint demnach übersichtlich zu sein, zumindest bis dann die Orders eintreffen. Mir ist im Lifeboat, ein Freifallboot mit Antrieb, der Sitzplatz Nr. 28 zugewiesen. Der Weg hinein ist steil und der Platz sehr begrenzt, dennoch schafften wir es alle, bis auf den Kapitän, der die Szene von der Brücke aus beobachtete, in etwas mehr als 10 Minuten in das Boot, die Gurte anzulegen und den Motor zu starten. Das Boot ist für 36 Personen ausgelegt, der Raum dafür gerade mal 18,5 m2 groß und man kann die Zustände bei geschlossener Tür vermutlich nur erahnen, wenn man stundenlang auf Rettung warten muss. Rashid, einer der Kadetten an Bord sagte mir, wenn das Wetter kalt und nass ist, ist das Boot wirklich gut aber wenn es draußen heiß ist, ist eine der Rettungsinseln die bessere Wahl. Die Rettungsinseln sind Vollautomaten welche, wenn nicht zuvor schon ins Wasser geschmissen, von selbst nach oben treiben und ab einer bestimmten Tiefe von ca. 18 Metern durch eine am Schiff befestigte Reißleine sich automatisch aufblasen. Unser Schiff hatte davon vier am Achterdeck, jede bietet im Ernstfall Platz für 40 Leute.

Fortsetzung…

~~DISCUSSION:off~~