Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, vor allem wenn man nicht alle Fakten kennt aber das alleine was man weiß, kann man durchaus kontrovers diskutieren. Haben wir [der Westen] uns korrekt verhalten? Sicher nicht, auch wenn das Argument des Vertragsbruchs über einen Verzicht auf eine NATO Osterweiterung1) wohl falsch ist, weil es dazu keine verbindlichen Verträge gibt, sondern nur mündliche Zusagen damals involvierter Politiker, unter anderen Hans Dietrich Genscher2) (Außenminister zZ der Wende 89/90) und James Baker3) (US Außenminister zZ der Wende 89/90 unter George Senior Bush4)). Damals wurde Gorbatschow5) der Verzicht der NATO Osterweiterung zugesichert. Eine vertragliche Absicherung seitens der damals noch existierenden Sowjetunion wurde nicht in Betracht gezogen, weil zu der Zeit diese Länder noch innerhalb des Warschauer Pakts6) operierten und ein Eindringen der NATO in eines dieser Länder zumindest damals einer Kriegserklärung gleichgekommen wäre. In der damaligen Zeit ein völlig absurder Gedanke.
Das sich die Dinge für Russland so ungünstig entwickeln, hat damals niemand in Erwägung gezogen. Ein schwerer Fehler den Moskau, allen voran Putin, jetzt versucht zu korrigieren oder das Kräfteverhältnis zumindest nicht weiter zu Ungunsten Russlands zu verschieben. Mit der NATO Osterweiterung hat der Westen dann wohl keinen Vertragsbruch begangen aber ein Wort gebrochen und damit Glaubwürdigkeit verwirkt. Das war ungeschickt und wenn man sich den Tunnelblick unserer westlichen Politiker, getrieben von diversen Zielen wie im wahrsten Sinne des Wortes grenzenloses Wachstum vor Augen hält, kommt man zu dem Schluss, dass es eigentlich gar nicht anders kommen konnte aber hinterher ist man immer schlauer. Nach dem kalten Krieg hat sich der Westen als Sieger betrachtet und bis heute auch so verhalten, so provoziert der Westen jetzt Russland erneut mit dem Versuch die Ukraine in die EU und auch in die NATO zu holen. Mit der Ablehnung der EU auf Putins Vorschlag 2001 im Deutschen Bundestag eine gesamteuropäische Freihandelszone mit Russland zu errichten7) wurde die wohl größte Chance vergeben, den Osten Europas zu stabilisieren. Russland wurde isoliert.
Die Ukraine hat in vielerlei Hinsicht den Tropfen beigesteuert der das Fass jetzt zum überlaufen brachte. Zum einen ist es nach Russland das größte Land der ehemaligen Sowjetunion und eines der flächenmäßig größten Länder ganz Europas, zum anderen erstreckt sich die Ukraine bis tief in den Osten, was einer regelrechten Belagerung Russlands entsprechen würde, würde die Ukraine NATO Mitglied werden. Das Interesse Russlands an der Ukraine hat demnach mehrere Gründe. Zum einen erhebt Russland geopolitische Ansprüche an Teile der Ukraine (Krim8)), zum anderen sind durch diverse politische Prozesse seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts viele Russen in die Ukraine umgesiedelt, welche sich Russland ganz offensichtlich immer noch zu großen Teilen verpflichtet fühlen. Diese Zuwanderung wurde ausgelöst durch die Erschließung großer Rohstoffvorkommen in der Ostukraine9), was zu einer Industrialisierung dieses Teils der Ukraine führte, während der Westen des Landes eher landschaftlich geprägt wurde bzw geblieben ist. Zwischen Russland und der Ukraine sind starke wirtschaftliche Verbindungen entstanden, welche durch einen Beitritt der Ukraine in die EU gefährdet wären. Auch haben durch die Zuwanderung viele "Ost-Ukrainer" russische Wurzeln und sehen sich immer noch Väterchen Russland verpflichtet und suchen nun Schutz bei Moskau. Man darf auch nicht übersehen, dass der Westen den Beginn der Krise auf dem Maidan Anfang 2014 in Kiew begrüßt hat und Beifall geklatscht wurde wie eine legitime Regierung gestützt wurde, nur weil diese den Plänen des Westens nicht entsprochen hat. Jetzt ist die Empörung groß, weil es nicht so gelaufen ist, wie man sich das vorgestellt hat.
Ich denke Putin sind die Menschen in der Ostukraine, seien es nun Ukrainer, russisch stämmige Ukrainer oder ukrainische Russen am Ende vermutlich egal, er will die Ukraine auf keinen Fall in die Hände der NATO und der EU fallen lassen. Da kommen ihm im Moment die prorussischen Separatisten gerade recht, denn wirtschaftlich betrachtet ist der Osten der Ukraine der lukrativere Teil. Dazu muss man wissen, dass die Ostukraine zur »Strategischen Ellipse«10) gehört, welche den Teil der Welt mit den größten Rohstoffvorkommen beschreibt. Sie zieht sich im Süden über Saudi Arabien bis in den Norden nach Russland, im Osten China, Iran, Irak, Kasachstan und im Westen eben der östliche Teil der Ukraine oder auch die Türkei. Und genau da liegt der eigentliche Hund begraben, genauer gesagt bei den seltenen Erden11). Seit dem China die Ausfuhr seltener Erden massiv zurückgefahren hat12), gewinnen nun ehemals eher unbedeutende Vorkommen immer mehr an Bedeutung. Seltene Erden sind für die Industrieländer von größter Bedeutung, was wohl das Interesse des Westens und Russlands an der Ukraine begründet.
Viele Kriege haben sich schon wegen der immer größeren Abhängigkeit der ersten Welt von Rohstoffen entwickelt, da muss man gar nicht allzuweit zurückblicken, der Krieg im Irak war zum einen den großen Erdölvorkommen des Landes geschuldet, zum anderen wollten die USA ihre Position im nahem Osten durch Einfluss und starke Präsenz stärken. Das ging ja nun mal grandios nach hinten los. War das ungeschickte Handeln der Sieger des ersten Weltkriegs die Grundlage für den zweiten Weltkrieg, so dürften die beiden Irakkriege, allen voran der letzte, die Grundlage für die derzeit politisch hochbrisante Lage verantwortlich sein. Heute agieren die »selbsternannten Sieger« der Irakkriege und des kalten Krieges ähnlich ungeschickt. Ein stabiles Europa kann es nur mit Russland geben und die Gefahr ist groß, dass in naher Zukunft die letzte Tür und die letzte Brücke zu einer friedlichen Lösung zugeschmissen und abgerissen sein könnte. Ich weiß zwar auch nicht wie man Putin wieder ins Boot holen könnte, ich weiß nur dass man ihn zurück ins Boot muss. Da hilft es wenig, dass Obama Putin mit den Worten "Russische Aggression ist eine Bedrohung für die Welt" attackiert und ihn mit auch mit einer längeren Isolation droht. Schließt sich dem die EU an, werden die Sanktionen auch uns treffen und die USA sehen damit eine Chance ihre eigene Position als Weltmacht auszubauen. Vor allem Amerika sollte sich mit solchen Äußerungen zurücknehmen, wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen schmeißen….
— pronto 2014/11/16 17:42